Ärmel hoch!
von Nikolas Tsamourtzis

Einige Krisen sind bereits überstanden, in anderen stecken wir noch bis zum Hals und die wichtigsten kommen erst noch. 

Die Handelsauskunft wird diesen Monat 75 Jahre alt. Sie hat über die Jahrzehnte in der Region Generationen von Unternehmer:innen kommen und gehen sehen. Manchmal wurden einzelne Firmen einfach obsolet, zuweilen sind aber auch ganze Branchen im Verlauf weniger Jahre faktisch verschwunden. Doch immer traten auch wieder neue an ihre Stelle.

Als mein Großvater sich am 20. Juni 1948 selbstständig machte und seine Auskunftei mit angeschlossenem Verlag der Handelsauskunft gründete, lag Deutschland wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch immer am Boden. Beflügelt durch den Marshallplan setzte die (west-)deutsche Wirtschaft allerdings zu einem – zu diesem Zeitpunkt noch völlig undenkbaren – Comeback an. Dieselben deutschen Tugenden, die noch wenige Jahre zuvor durch die Nazis pervertiert, Tod und Zerstörung über die Welt gebracht hatten, verhalfen unserem Land zu seinem legendären Wirtschaftswunder.

Spätestens Anfang der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts war damit allerdings Schluss: Das Öl wurde knapp und damit versiegte auch die Lebensader des Wirtschaftswachstums. Insbesondere Deutschland war davon betroffen, da es keine eigenen nennenswerten Ölvorkommen besitzt und somit völlig vom Import abhängig ist. Ähnlich wie im Herbst letzten Jahres, als der Gas- und Ölzufluss aus Russland zum Erliegen kam, stand Deutschland im Herbst 1973 vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Anfang November 1973 peitschte der damalige Kanzler Willy Brandt (SPD) daher im Eilverfahren noch ein Energiesicherungsgesetz durch den Bundestag, das unter anderem die im letzten Jahr wieder zitierten Sonntagsfahrverbote mit sich brachte.

Auf ihre Abhängigkeit von Ölimporten schmerzhaft hingewiesen, versuchten die westlichen Industrienationen zukünftig Rohöl einzusparen und neue Energiequellen zu erschließen – darunter Wind-, Solar- und Atomstrom. Die bis heute anhaltende Debatte über die Schonung von Ressourcen wurde hier bereits geboren. Nach einigen Jahren des Abschwungs erholte sich die deutsche Wirtschaft nach den entsprechenden Weichenstellungen aber wieder und Deutschland wurde zu einer der wichtigsten Industrienationen der Welt.

Anders als seine Nachbarn setzte Deutschland dabei allerdings auch auf Kohle und Gas, was das Problem im vergangenen Jahr für unsere Wirtschaft noch einmal verschärfte und uns im Kampf gegen den Klimawandel vor besondere Herausforderungen stellt. Doch genau diese sollten wir endlich annehmen.

Denn die deutsche Wirtschaft hat in der jüngeren Vergangenheit zu oft Lobby- gegen Zukunftsinteressen durchgesetzt und sich dadurch langfristig selbst ins Bein geschossen. So hat die deutsche Autoindustrie beispielsweise viel zu lange in Brüssel noch für Benzin- und Dieselmotoren getrommelt, um ja nicht in neue Technologien investieren zu müssen. Seit diesem Jahr drängen auch chinesische Hersteller von E-Autos auf den europäischen Markt, die den deutschen Herstellern nicht nur in puncto Reichweite weit voraus sind: Anders als Teslas hochpreisige Fahrzeuge, hat die Konkurrenz aus China nämlich auch Modelle im Programm, die mit knapp 11.000 Euro weit günstiger ausfallen als deutsche Kleinwagen mit Verbrennungsmotor. Wir sollten dabei auch nicht vergessen, dass China über den finalen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor in sieben Jahren nachdenkt … und derzeit noch Deutschlands wichtigster Kfz-Absatzmarkt ist.

Die Autoindustrie ist aber auch nur eine Stellvertreterin für viele andere Bereiche, in denen in der Vergangenheit die falschen Lobbyinteressen obsiegten: So war Deutschland vor knapp zehn Jahren noch Technologieführer in puncto Photovoltaik … bis man die Förderung hier komplett einstellte und wieder auf Atomkraft setzte (zumindest bis zum GAU in Fukushima). So ging ein kompletter Wirtschaftszweig quasi über Nacht verloren.

Vor diesem Hintergrund ist es nur noch ermüdend, den Bremsern innerhalb der deutschen Politik, die meist recht unverhohlen Lobbyinteressen verfolgen, zuzuhören. Besser wäre es, wenn sich Regierung wie Opposition darauf besinnen würden, dass man sich zwar trefflich über die richtigen Rezepte streiten kann, aber nicht darüber, ob überhaupt gekocht werden soll. Fakt ist, wir stehen nicht nur als Deutschland, sondern als Menschheit vor den wahrscheinlich wichtigsten und größten Herausforderungen der letzten 75 Jahre – ein Grund, warum wir genau dies auch zum Thema unserer Jubiläumsausgabe gemacht haben.

Denn was würden wohl unsere Großeltern davon halten, wenn wir, statt wie sie mutig und voller Tatendrang in die Zukunft zu blicken, lieber von der vermeintlich besseren Vergangenheit träumten und so das Morgen verschlafen würden? Zumindest für meinen Großvater kann ich diese Frage beantworten. In diesem Sinne: Packen wir es an!

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